News - Ausmisten

Jesus als Aufräumcoach

Ausmisten sorgt dafür, dass im Haus meines Lebens nicht alles drunter und drüber geht / Von P. Martin Stark SJ


Irgendwann ist das Ausmisten einfach dran. Ich muss gestehen, dass ich meistens eher nicht regelmäßig hinter mir herräume, sondern oftmals mein Zimmer erst so schlimm aussehen muss, dass mich dann regelrecht der Furor packt. Das ganze Gerümpel zwingt doch dazu, sich mehr mit der Vergangenheit zu beschäftigen als mit der Gegenwart oder Zukunft. Was ich z.B. aus dem Kleiderschrank im letzten Jahr nicht angerührt habe, kann getrost für immer entsorgt werden. Ich werde es bestimmt nicht vermissen. Das Ausmisten befreit von unnötigem Ballast und schafft Raum für Neues.

Irgendwie ist mir der leidenschaftliche Jesus deshalb sehr sympathisch, der im Tempel alles andere als sanftmütig auftritt, sondern sogar mit der Peitsche dreinschlägt und mit einem Gewaltausbruch die Räuberhöhle ausmistet. Was wäre das schön, wenn das auch heute in der Kirche so einfach wäre?!

Dass endlich dem Missbrauch des Glaubens für eigene Zwecke der Garaus gemacht würde, der der Sache Gottes weitaus mehr Schaden zufügt, als alle Geldwechsler im Tempel von Jerusalem jemals hätten anrichten können! Dass man schonungslos ans Tageslicht befördert, wo Klerikalismus und Absolutismus gegen die eigenen Grundsätze verstoßen und dass die biblische Botschaft von der Gottebenbildlichkeit und der Gleichwertigkeit aller Menschen sich innerkirchlich selbst mit noch so viel Aufwand nicht länger unterdrücken lassen! Die meisten deutschen Bischöfe haben diese Lage offenbar realisiert und wollen den Reformkurs des Synodalen Weges auch gegen römischen Widerstand weiter verfolgen. Es gibt sowieso keine sinnvolle Alternative. Das Rad „volle Kraft zurück“ in vorkonziliare Zeiten wird niemand mehr drehen können!

Ich kann mich noch genau an den 13. März 2013 erinnern. Als Papst Franziskus um 20:22 Uhr auf die Benediktionsloggia des Petersdoms trat, befand ich mich auf den Philippinen noch im Tiefschlaf. Aber als ich morgens vor der Frühmesse bei den Schwestern in Baybay (Leyte) auf mein Handy blickte, traute ich meinen Augen kaum, was ich da in den SMSen meiner Mitbrüder las. Bergoglio sei angetreten, um in der Kirche auszumisten, schrieb mir ein Freund, und er werde im eigenen Haus – er meinte den Jesuitenorden – anfangen. Nun, nach zehn Jahren stellt sich das „Ausmisten“ in Rom freilich anders dar…

Die Tempelreinigung ist im Johannesevangelium noch nicht die „Stunde Jesu“. Sie markiert den Auftakt des öffentlichen Auftretens Jesu. Das Zeichen, das er setzen will, ist nicht die Gewalt an sich, sondern die Überwindung der Gewalt. Auch das leidenschaftliche Ausmisten ist kein Selbstzweck, sondern will zeigen, dass Götzenbilder im „Tempel des lebendigen Gottes“ (2 Kor 6,16) nichts verloren haben, auch nicht im Tempel Gottes, der wir selbst sind, also in unserm eigenen Leben.

Ich glaube, das Bild im Evangelium will uns daher ermutigen, Gott und seinen Möglichkeiten mehr zuzutrauen als ich das bisher gewagt habe. Er ist es, der Konkretes bewirken kann. Selbst unüberwindlich scheinende Berge kann er mit einem einzigen Wort ins Meer stürzen. So wie er am Anfang der Welt das Chaos gebändigt hat, so ist er auch der Garant für die Ordnung im Großen und Ganzen. Ich brauche nur meinen bescheidenen Beitrag leisten, dass in meinen eigenen vier Wänden wie auch im ganzen Haus meines Lebens nicht alles drunter und drüber geht.

Das kann ich zum Beispiel tun, wenn ich mir einfach des Öfteren Fragen stelle wie: „Warum mache ich dies und jenes überhaupt?“ „Hat diese Beschäftigung eine Berechtigung, wenn ich mein Leben als Ganzes betrachte?“ „Welche Gedanken blockieren mich?“ „Von welchen Gewohnheiten will ich mich verabschieden?“

Nicht immer braucht es für ein solches Ausmisten des eigenen Lebens eine Wutaktion. Wie in Exerzitien, den Geistlichen Übungen, sind vielmehr Ausdauer und Durchhaltevermögen entscheidender und wohl auch effektiver. Alles mit Maß und Ziel! Das Ausmisten erfordert zuallererst, Prioritäten zu setzen. Wie beim Aufräumen im eigenen Zimmer beginnt man am besten mit der Ecke, die einen am meisten stört. Und wenn ich mit kleinen, überschaubaren Dingen anfange, fördert es die eigene Zufriedenheit, dass ich stolz auf Erreichtes zurückschauen und Neues in Angriff nehmen kann.

Letztlich eröffnet der kritische Blick auf scheinbar Selbstverständliches neue und ungeahnte Möglichkeiten. Auch das eigene Handy muss von Zeit zu Zeit von ungenutzten Apps befreit werden, und eine Vielzahl von überflüssigen Schnappschüssen machen die eigene Fotogalerie unüberschaubar. Das Ausmisten spart nicht nur Zeit und Geld. Das tägliche Nachhalten wird, wenn ich einmal angefangen und zu einer Grundordnung gefunden habe, von da an einfacher, und zukünftige Aufräum-Aktionen werden sicher weniger anstrengend ausfallen.

Mir selbst hilft die Gewissheit, dass ich nicht perfekt sein muss, und mich motiviert, dass ich immer wieder neu anfangen darf. Die große Ordnung liegt sowieso in Gottes Händen. Viel Spaß beim Ausmisten!

P. Martin Stark SJ


Der Text ist freundlicherweise übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 19. März 2023 / Nr. 12.


P. Martin Stark SJ
Kirchenrektor von St. Michael
Superior der Jesuitenkommunität
martin.stark(at)jesuiten.org

Foto: Robert Kiderle