News - Festpredigt Sr. Carmen Tatschmurat OSB

Gott in allem suchen – wie geht das in Krisenzeiten?

Sr. Carmen Tatschmurat von der Abtei Venio hielt beim diesjährigen Michaelsfest die Festpredigt.


Verehrte Brüder, liebe Schwestern,

„Ich denke heute an die Engel, jene unbeobachtbaren Zeugen, jene schweigenden Zuschauer, die von irgendwoher aus den fernen Logen des himmlischen Amphitheaters unser irdisches Wimmeln verfolgen. Was sagen sie zum Theater unserer Geschichte? Unterhalten sie sich gut? Lachen sie? Weinen sie? Klatschen sie? Sind sie gespannt?“ (TH 12)

So beginnt das Buch des tschechischen Theologen Tomaš Halík „Theater für Engel“1. Er nimmt die Perspektive der Engel als Bild für die Sehnsucht, den Horizont zu erweitern und Dinge im größeren Kontext, sozusagen mit den Augen der Engel, zu sehen.

Bleiben wir einmal dabei, dass die Welt ein Theater ist und wir unseren Part so gut wie möglich zu spielen haben, vor den Augen der Engel. Der hl. Ignatius fordert ja uns in seinen Exerzitien-Anleitungen auf, die Bühne zu betreten, die die Heilige Schrift aufspannt. Wir sollen uns in das Drama hineinbegeben, damit wir den Sinn der Erzählungen aus den Evangelien mit allen Sinnen wahrnehmen, um dann mit den Akteur:innen ins Gespräch zu kommen. So soll unser innerer Raum für Christus geöffnet werden.

Und nehmen wir als übergeordnete Regieanweisung das Wort: Gott in allen Dingen suchen und finden. Eine der wesentlichen Grundlagen ignatianischer (und benediktinischer!) Spiritualität.

Aber: Wie geübt wir in der Gottsuche im Alltag auch sein mögen – wie geht das, wenn die Krisen überhandnehmen? Wenn das Leben zu komplex und unübersichtlich wird? Plötzlich befinden wir uns auf der Bühne eines Impro-Theaters, vielleicht wankt sogar der Boden. Die Lesung aus der Offenbarung zeigt in einer bildmächtigen Vision das Chaos, das wir derzeit an vielen Stellen erleben, den Kampf der verschiedensten Mächte, als Engel und Satan bezeichnet. Michael ist der siegreiche Protagonist, so, wie er in erschreckender Pose an der Außenwand dieser Kirche zu finden ist: mit dem Speer, den er dem Satan direkt in den Hals sticht. Die Aufforderung zum Jubel, da der Sieg über die Mächte des Bösen bereits geschehen ist – das gelingt nicht so ohne weiteres.

Die Krise als Lernort – das sagt sich so leicht, und ist doch so schwer umzusetzen. Plötzlich soll uns schnell etwas einfallen. Nehmen wir Menschen in Not in unsere Wohnung auf? Wie reagieren wir auf Energieprobleme? Was, wenn mein Kind schwer krank wird und ich gleichzeitig im Beruf stark gefordert bin?

Schauen wir, was uns aus dem Evangelium des heutigen Tages dazu entgegenkommt.

Die Geschichte, die uns erzählt wird, ist ein kurzer Ausschnitt aus den Berufungsgeschichten der ersten Jünger. Vorausgeht wie am Tag nach Jesu Taufe in atemberaubender Geschwindigkeit zunächst Andreas und ein weiterer junger Mann Jesus fragen, wo er wohnt. . Eine etwas hilflose Frage, die wohl meint: Wer bist Du eigentlich? Auf seine Einladung hin: „Kommt und seht!“ folgen sie ihm. Dann spricht Andreas seinen Bruder Simon an, der ebenfalls mitkommt. Am Tag darauf stößt Philippus dazu, der wiederum Natanael anspricht. Da setzt der heutige Abschnitt ein. Jesus sieht Natanael und erkennt ihn als „einen Mann ohne Falschheit“. Und verwundert nehmen wir zur Kenntnis, wie Natanael im gleichen Moment Jesus als „Sohn Gottes“ und „König von Israel“ bekennt. Das kurze Gespräch endet damit, dass Jesus Natanael voraussagt, was er noch erleben wird. Damit wendet er sich auch an die anderen und, so können wir interpretieren, an uns. Er sagt: „Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.“ Bühnenreif.

Drei Gedanken dazu.

Erstens: Ein Mann ohne Falschheit – Jesus erkennt sofort das Wesentliche dieses Menschen, der da vor ihm steht. Ein Mann, der mit seinem ganzen Leben Gott sucht und der auf seinem Suchweg zu ihm geführt wurde. Und wenn wir der Tradition folgen, die sagt, dass Natanael mit dem Apostel Bartholomäus identisch ist: Einer, der bei ihm bleibt. Was geschieht hier? Ein Mensch, der sein Leben lang Gott gesucht hat, wird angesprochen – und es gerät etwas in Schwingung. Es entsteht ein Resonanzraum, in dem beide sich gegenseitig in ihrem Wesen erkennen. Für uns kann das heißen: Suchen wir unbeirrt unseren je eigenen Weg zu und mit Gott, unabhängig von Vorgaben, Gruppen, Strukturen. Seien wir offen dafür, wo sich uns Resonanzräume öffnen – und dafür, dass uns in jedem Menschen Gott begegnen kann.

Foto: Abtei Münsterschwarzach/Julia Martin

Von Schwester Carmen Tatschmurat ist soeben das Buch "Mein Leben neu ordnen - Benediktinische Impulse für Zeiten des Umbruchs" (Vier-Türme-Verlag) erschienen.

Zweitens. Das Bild des geöffneten Himmels finden wir öfter in der Bibel. Unser Blick ist gerichtet auf überschwemmte Landstriche, auf Teile Afrikas, in denen Menschen verhungern. Auf Menschen, die in Straflager geschickt werden, weil sie für Meinungsfreiheit eintreten. Wir schauen auf Frauen im Iran, die ihre Schleier verbrennen. Auf Menschen, die weltweit um den rechten Weg der Kirche ringen. Wir wünschen uns eine gerechte, friedliche Welt, eine blühende Natur, das Ende der Pandemie.

Ein Blick in den geöffneten Himmel – Was können wir damit anfangen? Es ist die Zusicherung, dass immer und jederzeit ein Durchbruch möglich ist. Gerade auch in dem, was verletzt oder gebrochen ist. Gerade durch die Risse und Brüche des Lebens kann das Licht durchdringen. Werden wir aufmerksamer dafür, wo gerade in dem, was nicht funktioniert oder was scheinbar nicht zusammenpasst, das Licht eindringt. Und lassen wir uns nicht durch die Medien dazu verführen, immer nur auf die Schattenseite zu blicken. Schauen wir darauf, wo die Welt durchscheinend wird und sich Begegnungen auftun, die etwas zum Leuchten bringen.

Drittens: Wir feiern heute das Patrozinium dieser Kirche. Da geraten die Engel, die auf und niedersteigen in den Blick. Es ist eine Anspielung auf den Traum des Jakob, der die Engel auf einer Leiter auf- und niedersteigen sah. (Gen 28,12) Die Engel, die unser Tun auf der Bühne dieser Welt begleiten und in den Himmel vermitteln und umgekehrt. Die Kirchenväter sagen, dass dieser Austausch in jeder Eucharistiefeier geschieht. So heißt es ja auch in den Präfationen zum Sanctus, dass wir gemeinsam mit den Chören der Engel das Lob Gottes singen. Vertrauen wir darauf, dass es himmlische Boten gibt, die als eine Freundin, ein geduldiger Zuhörer, ein hilfreicher Beamter oder auch in einem richtungweisenden Traum zur rechten Zeit auftauchen und für uns die Verbindung zwischen Himmel und Erde offenhalten.

Zusammengefasst:

Betrachten wir gelegentlich unsere Welt als einen Schauplatz, auf dem sich vielerlei Gestalten bewegen und suchen wir unseren Part so gut wie möglich zu spielen.

Bleiben wir erstens offen dafür, dass sich mit einem anderen Menschen jederzeit ein Raum für wirkliche Begegnung öffnen kann.

Bleiben wir zweitens zuversichtlich, dass in schönen wie in schmerzhaften Situationen ein Licht von der anderen Seite der Wirklichkeit her durchscheinen kann.

Bleiben wir drittens neugierig dafür, wo ein anderer Mensch uns als himmlischer Bote den nächsten Schritt weisen kann.

Wir sind Akteure und Beobachter, Verlierer und Gewinner. Letztlich geht es darum, sich in diesem Spiel vor Gott zu bewähren, indem wir einander Raum geben und die persönliche Gottsuche ihren Ausdruck im gemeinsamen Fortschreiben des Stückes findet – auch und gerade durch Krisenzeiten hindurch.

Zum Schluss nochmals Thomas Halík:

„Wenn Sie (das) nicht glauben können, spielen Sie das. Wagen Sie es, in die Geschichte einzusteigen, bleiben Sie nicht Zuschauer, werden Sie Akteur und Mitgestalter des einzigartigen ‚Theaters für Engel‘.“ (TH 75)

Amen.

Sr. Dr. Carmen Tatschmurat OSB
Abtei Venio

Hier können Sie die Predigt als pdf herunterladen.


[1] Tomaš Halík: Theater für Engel. Das Leben als religiöses Experiment. Freiburg 2019 (Original 2010)

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