News - Gedanken zu den Schrifttexten des Sonntags

Christliche Bildung

Gedanken zur zweiten Lesung (Hebr 12, 5–7.11–13)

Bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels nahm Astrid Lindgren Bezug auf diese Bibelstelle im Hebräerbrief (12,6). Damals zu Beginn der 70er Jahre war die Prügelstrafe noch ein weit verbreitetes Erziehungsmittel. Sie erzählte von einer Mutter, die glaubt, sie müsse ihren kleinen Sohn strafen. Weil sie den Stock dafür nicht findet, schickt sie ihn in den Garten, um einen zu suchen. Der Junge kommt und kommt nicht wieder. Sie macht sich große Sorgen. Schließlich erscheint er doch - mit einem Stein in der Hand - und sagt zu ihr: „Ich habe einfach keinen Stock gefunden. Da habe ich diesen Stein mitgebracht. Ich dachte mir, wenn du mir wehtun willst, dann kannst du den ja nach mir werfen.“ Die Mutter nimmt ihn augenblicklich in die Arme und bricht in Tränen aus. Den Stein aber stellt sie als Mahnung auf die Fensterbank. Sie hat ihn nie wieder körperlich bestraft.

Diese Geschichte zeigt, welch verhängnisvollen Missverständnissen ein Bibelwort ausgesetzt sein kann. Was erst, wenn es denen in die Hände spielt, deren Gewaltbedürfnis oder Sadismus es rechtfertigt und über-höht! Es geht hier nicht um Strafe, sondern um Erziehung. Das meint auch das alte Wort Zucht. Wo eine Übertretung auf eine Art bekämpft wird, die selbst Übertretung ist, kann sie nicht erziehen, sondern wird zerstören. Aber geht es hier um Erziehung in der Familie? Geht es darum, dass antike Härten unsere Pädagogik prägen?

Die Rute zerbrechen

Was hier gesagt wird, ist mit Blick auf Jesus gesagt und seine Bereitschaft, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Es geht um die Frage, ob es im Glaubensleben so etwas wie Erziehung gibt und Zumutungen geben darf. Dass zum Leben eines Christen Verzicht, Zurücknahme, Zumutung, Übung, Ausbildung und Selbstkritik gehören, ähnlich etwa wie im sportlichen Bereich oder beim Erlernen eines Instrumentes, stieße das noch auf Akzeptanz?

Das passt wenig in den Bereich des Glaubens, wo wir von der Güte und der Qualität anderer Menschen oder religiöser Angebote leben, wo wir legitimerweise selbst nach Geborgenheit suchen oder Heilung. Aber wer stellt diese Güte sicher? Einsatz, Disziplin, Reflexion passen gut zu vielen Ehren- und Hauptamtlichen, die sich eine gewisse Professionalität in ihren Bereichen erarbeiten und dafür etliche Einschränkungen in Kauf nehmen, Rückschläge eingeschlossen, um dann „geschult" anderen „gerecht" (Vers 11) zu werden. Die Rute sollen wir zerbrechen, das Wort Zucht müssen wir nicht übernehmen, Erziehung aber schon. Wir könnten sie Bildung nennen oder Anstrengung füreinander. So gesehen lebt Christsein viel von einer über Widerstände hinweg erworbenen menschlichen wie fachlichen Bildung.

Thomas Hürten
Pastoralreferent und Fachreferent in der Glaubensorientierung in St. Michael

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Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 21. August 2022 / Nr. 34.

Ihr habt die Mahnung vergessen, die euch als Söhne anredet:Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn und verzage nicht, wenn er dich zurechtweist! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat.Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet! Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Leid; später aber gewährt sie denen, die durch sie geschult worden sind, Gerechtigkeit als Frucht des Friedens. Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark, schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!
(Hebr 12, 5–7.11–13)

21.08.2022 - 21. Sonntag im Jahreskreis (C)

1. Lesung: Jes 66, 18–21 ("Sie werden alle eure Brüder aus allen Nationen herbeibringen.")
Antwortpsalm Ps 117 (116), 1.2
2. Lesung:Hebr 12, 5–7.11–13 ("Wen der Herr liebt, den züchtigt er.")
Evangelium: Lk 13, 22–30 ("Sie werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen.")

Thomas Hürten
Pastoralreferent, Fachreferent
Fon +49 / 89 / 21 37 - 2402
THuerten(at)eomuc.de

Foto: MKZ