Nicht ärgern, nur wundern
Von Thomas Hürten, Pastoralreferent und Fachreferent in der Glaubensorientierung in St. Michael
Jesus erzählt eine Geschichte. Aus ihr ergibt sich eine Moral, die man sofort in den falschen Hals kriegen kann: „Ich bin der Geschädigte und jetzt soll ich auch noch vergeben! Immer drauf auf die Opfer. Freie Fahrt für die Täter!“ In Jesu Geschichte ist es anders. Das erste „Opfer“ ist der geschädigte Herr (Gott), der sich gütig erweist, wo er streng sein konnte. Ferner ist der Schuldige reumütig. Eigentlich wäre die Geschichte hier schon durch Vergebung zum Guten gewendet. Wenn da nicht das Vergessen wäre. Die eigentliche ethische Botschaft und Herausforderung richten sich nicht an ein Opfer, sondern an einen Täter, der, obwohl selbst großzügig entschuldet, einem, der ihm sehr wenig schuldete, streng und unbarmherzig begegnet ist. So wird also kein Opfer zur Vergebung verdonnert, sondern ein Täter auf seine Härte hin verdonnert. Gott schenkt dem einen die unvorstellbar hohe Summe von 10.000 Talenten, diesem aber ist das nicht einmal die vergleichsweise verschwindende Schuld von hundert Denaren (der 600.000ste Teil) wert. Das ist ein Skandal.
Großzügig statt kleinlich
Wir Menschen bleiben uns manches schuldig, manchmal vieles. Wenn Sünde von Sonderung kommt und einfach den Abstand zu dem meint, was wirklich gut ist, dann sind wir in diesem weiten Sinne alle Sünder, ob wir nun eine bewusste Tat aus der Erinnerung ziehen oder nicht. Gott, sagt das Evangelium, legt uns nicht aufs Heimzahlen fest, nicht auf die strikte Abgeltung aller Schulden, die wir anderen gegenüber anhäuften. Denn es geht ihm nicht um skrupelhafte Existenzen. Es geht ihm um Gnade – unter uns. Das ist der Geist Gottes in der Welt, der gibt, großzügig, ohne kleinliche Verrechnung. Was darum aber diesem Geist widerspricht, ist die Haltung, nicht vergeben zu wollen, obwohl einem selbst so viel vergeben wurde. Wer so drauf ist, kann keine Vergebung erwarten. Er setzt ja selbst aufs Heimzahlen. Denk an das Ende! Ist das Leben nicht zu kurz, um es mit Groll und Zorn auszufüllen? Liegt nicht auch eine Lebensklugheit darin, schnell zu vergeben und, wo es geht, zu lachen oder sich nur zu wundern, statt sich zu ärgern?
Vielleicht ist immer noch der Eindruck da, die Forderung nach der Vergebung sei angesichts manch erlittener Verletzung unerfüllbar und damit selbst ungnädig. Ich glaube nicht, dass Jesus diese Geschichte erzählt, um unseren Umgang mit kapitalen Verbrechen zu klären. Wer solches Leid erfahren hat, muss erst einmal gar nichts. Jesus erhöht nicht den Druck auf ohnehin schon Gebeutelte. Das geknickte Rohr bricht er nicht. Aber er wird auch hier die wirkliche Lösung nicht im Heimzahlen sehen. Es geht ihm um ein Loslassen. Was eintrat, hat schon genug Schaden angerichtet.
Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 17. September 2023 / Nr. 38.
17. September 2023 - 24. Sonntag im Jahreskreis (A)
1. Lesung: Sir 27,30 – 28,7 - Vergib deinem Nächsten das Unrecht, dann werden dir, wenn du bittest, deine Sünden vergeben
Antwortpsalm: Ps 103,1–2.3–4.9–10.12–13 - Gnädig und barmherzig ist der Herr, voll Langmut und reich an Huld
2. Lesung: Röm 14,7–9 - Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn
Evangelium: Mt 18,21–35 - Nicht bis zu siebenmal musst du vergeben, sondern bis zu siebzigmal siebenmal
Thomas Hürten
Pastoralreferent, Fachreferent
Fon +49 / 89 / 21 37 - 2402
THuerten(at)eomuc.de
Foto: MKZ