News - Glaube im Alltag: Radikal glauben

Radikal glauben


Glaube im Alltag erlebt von Pater Andreas Batlogg SJ,
Seelsorger in St. Michael, München


­Vieles im Leben wird heutzutage danach gewertet, was etwas „bringt“, wie sich etwas „rechnet“. Verzweckung pur. Logischerweise fragen dann manche nicht nur: Warum glauben? Sie spitzen die Frage zu: Wozu glauben? Was habe ich davon?

Seitdem mich eine Krebsdiagnose im Herbst 2017 in die „Niederungen“ von Glauben, Hoffen, Beten, Bitten und Zweifeln geführt hat, habe ich ganz anders als vorher begonnen, mir Rechenschaft abzulegen: Was hält dich – wirklich und wirksam? Was trägt dich – wirklich und wirksam? Was tröstet dich – wirklich und wirksam? Und auch: Was glaubst du – wirklich und wirksam? Ich wünsche niemandem, dass er oder sie zuerst krank werden oder eine Lebenskrise durchmachen muss, bevor solche Fragen auftbrechen. Aber in den letzten fünf Jahren ist mein eigener Glaube anders geworden. Ob tiefer, wage ich nicht zu sagen. Ernster wohl, echter vielleicht. Das hatte Auswirkungen auf mein Beten, auf mein Schreiben, auf mein Verkündigen und aufs Predigen, auf meine Theologie.

Absichtslos beten

Über die Resilienzkraft von Glauben gibt es mittlerweile eine Fülle von Literatur: Ob Glaube wirklich und wirksam Widerstandskräfte auf- und wachrufen kann? Ohne Fachjargon: Hilft Glaube? Hilft er in allen Lebenslagen? Oder hilft er nicht, sobald … Darf ich mit Gott verhandeln? Hadern? Beten ist kein Tauschgeschäft: Ich bete – und kriege was dafür. Absichtslos muss mein Beten sein. Und Glaube muss alltagstauglich sein – oder werden. Er muss krisentauglich sein – oder werden. Er muss auch argumentativ belastbar sein, sich also intellektuell redlich ausweisen können. Sonst bleibt er fromme Behauptung.

Manche Leserinnen und Leser ahnen vielleicht schon: Bei solchen Fragen kommt manches auf den Prüfstand. Mein Repertoire an „frommen Sprüchen“, die oft sehr schnell und gedankenlos abgespult werden, hin und wieder zu durchforsten – das habe ich mir fürs neue Jahr vorgenommen. Radikal ehrlich werden, auch mit religiösen Gewohnheiten, Frömmigkeitsübungen, mit dem eigenen Gebetsschatz – um mir neu bewusst zu werden, ob ich auch wirklich innerlich dabei bin, das ist gar nicht so leicht.

Wie ein Kind vertrauen

„Dein Glaube hat dir geholfen“ (Mk 10,52), sagt Jesus immer wieder. Gemeint ist nicht ein Wunderglaube. Gemeint ist das ungeheure, vielleicht auch das ungeheuerliche Vertrauen darauf, dass Glaube wirklich Berge versetzen kann. Ein Stück kindliches Urvertrauen muss ich mir als Erwachsener zurückerobern. So gesehen ist Glauben immer radikal – anders.

P. Andreas R. Batlogg SJ


Der Text ist freundlicherweise übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 22. Januar 2023 / Nr. 4