News - Abschied von P. Karl Kern SJ

Seelsorger der Menschen und ​​​​​​​Baumeister des Herrn

 
Pater Karl Kern SJ blickt zurück auf zwölf Jahre als Kirchenrektor von St. Michael

Am 31. Juli hat P. Karl Kern SJ den Staffelstab des Rektors von Sankt Michael an P. Martin Stark SJ in München übergeben. Im Interview spricht er über seine zwölf Jahre in dieser epochalen Kirche inmitten der belebtesten Einkaufsmeile Deutschlands.

Sie waren Rektor einer ganz besonderen Kirche - wie würden Sie die Bedeutung von Sankt Michael beschreiben?

Diese Kirche hat eine riesige Tradition und Bedeutung: baugeschichtlich, kunstgeschichtlich, angefangen bei der monumentalen Fassade, dem weißen Stuck, der hier erstmals in einer Kirche nördlich der Alpen verwendet wurde. Auch die freischwebende Kanzel und der aufragende Hochaltar waren Neuerungen, ebenso die die Orgel auf der Empore, verbunden mit dem hohen musikalischen Anspruch von Anfang an. Orlando die Lasso war der erste Kapellmeister. Auch die Anordnung der Kirche ist revolutionär: Sankt Michael ist nicht geostet, steht nicht als Solitär da, sondern ist eingefügt in die Bebauung entlang dieser Ost-West-Achse der mittelalterlichen Stadt. Das gibt unserer Kirche auch heute einen besonderen Auftrag. Sankt Michael ist ein Epochenbau, der alle Barockbauten beeinflusst hat und der bis heute beeindruckt. Das riesige Tonnengewölbe ist das zweitgrößte weltweit nach dem Petersdom. Dieser Raum ist ein Programm.

Was für ein Programm?

Historisch gesehen ist er Ausdruck der katholischen Reformbewegungen des 16. Jahrhunderts. Schon das Patronat sagt das aus: Die Gestalt des heiligen Michael steht für den Kampf des Lichtes mit der Finsternis, des Guten mit dem Bösen. Auf der Fassade sind bayerische und Habsburger Kaiser und Herzöge versammelt. Die Spitze wird durch ein Kreuz markiert, darunter der Salvater mundi, der die Stadt und das Land segnet. St. Michael ist ein kosmischer Bau mit Christus als Zentrum und ein Bau des Herzogs für die Jesuiten, die durch diese Bildungseinrichtung das katholische Bayern stützen sollten.

Das kann es aber heute nicht mehr sein, oder?

Nicht, was die Gesellschaft angeht. Aber wer den Raum auf sich wirken lässt, sich darin ein bisschen umschaut und ihn für sich erschließt, wird merken, wie sehr er von den ignatianischen Exerzitien mit ihrer universalen Ausrichtung geprägt ist.

Können Sie das erklären?

Das riesige Gewölbe steht für die Weite des Himmels. Der Blick wird nach vorne gezogen zum Tabernakel hin und auf das Ringen des Erzengels mit dem Bösen und darüber: Jesus Christus der Weltenherrscher. Gegenüber, ganz hinten, über dem Eingang: in einer Nische das kleine Jesuskind. Dazwischen, vor dem Altarraum, haben wir seit 2016 wieder das Kreuz. Der Weg führt in einer ganz klaren Linie von der Geburt, über Tod und Auferstehung bis zum wiederkommenden Christus. Diese Linie wird im Hauptschiff nicht durch Heilige oder Deckengemälde unterbrochen. In allen vier Himmelsrichtungen finden wir das Sonnensymbol mit dem Namen Jesu in der Mitte. Also: ein ganz und gar christologischer Bau.

Was hat das mit ignatianischen Exerzitien zu tun?

Die Christus-Orientierung, das Schauen auf Christus, das Dabei-Verweilen und Erspüren, was sich regt in der Seele – diesen Prozess bildet Sankt Michael auf eine ganz fantastische Weise ab. Das war übrigens Gegenstand meiner allerersten Predigt in Sankt Michael als Kirchenrektor.

Sie haben eine Leidenschaft für gebaute Räume, zuerst Sankt Klara in Nürnberg, dann Sankt Michael.

Ja, ich liebe es sehr, mich mit Räumen zu befassen, mit Ihrer Beschaffenheit und ihrer Wirkung. Mein zweiter Traumberuf vor dem Priester war Baumeister, so nannte man den Architekten damals noch. Der erste war Förster, weil ich auch den Wald gerne mag. Und es ist wahr, ich habe in allen meinen Tätigkeiten im Orden immer viel gebaut: in Karlsruhe, in Nürnberg und in Sankt Michael.

Was waren hier ihre wichtigsten Projekte?

Für den Raum am bedeutendsten war sicher, dass wir das Kreuz des flämisch-italienischen Künstlers Giambologna wieder in die Mittelachse gestellt haben, direkt vor dem Volksaltar. Dort hatte es vor 1819 zweihundert Jahre lang gestanden. Das war ein gewagter Schritt, weil das den Kirchenraum und die Blickgewohnheiten verändert hat. Dabei hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, solche Dinge immer im Dialog zu entwickeln. Aber wir haben auch den Ambo erneuert, die Beichtstühle, die Orgel und die Heizung. Besonders wichtig war mir das Oratorium: wir haben das alte Oratorium der Wittelsbacher zu einem Meditationsraum umgebaut: für kleinere Kreise, für junge Menschen, die in überschaubarer Runde  Messe feiern wollen, im Kreis auf Hockern oder am Boden sitzend. Ich finde, dieser Raum ist sehr gut gelungen.

Was macht man in einer schrumpfenden Kirche mit einem Raum wie Sankt Michael? Einer Kirche, die mehr als tausend Menschen fasst?

Sicher, auch wir verlieren Gottesdienstbesucher, gerade durch die Pandemie. Aber wir fangen in Sankt Michael immer noch sehr vieles von dem auf, was in den Gemeinden zum Teil kaputt geht. Da bleiben wir ein Magnet in der Mitte der Stadt. Und wir brauchen auch große Räume für den Gottesdienst. Nicht nur Institutionen wie die Cäcilienmesse an Pfingsten sind immer voll bis auf den letzten Platz. Ich denke auch an einige prominente Beerdigungen wir hier hatten: die von Bernd Eichinger, Josef Vilsmeier, Hannelore Elsner, Pierre Briece – oder die Feier zum Tag der Deutschen Einheit mit der damaligen Bundeskanzlerin. Dafür haben wir einen wunderbaren Raum.

Und einen Rektor, der solche Feiern sehr gut kann.

Danke. Mir war es immer wichtig, auch durch meine Ausstrahlung zu zeigen, dass es sich hier um einen heiligen Raum handelt. Dass dieser Ort der Seele guttut und anregt, in sich hinein zu spüren. Wichtig ist, dass man auch selbst nicht verschlossen wirkt, sondern Offenheit und Freundlichkeit ausstrahlt, gerade auch Menschen gegenüber, die der Kirche fern oder skeptisch gegenüberstehen. Das ist für mich ein wohl verstandener missionarischer Geist.

Ist dieser missionarische Geist das, worauf es am meisten ankommt als Kirchenrektor?

Zunächst müssen Sie eine riesige organisatorische Verantwortung schultern können. Man ist in diesem Amt für alles zuständig: die große Liturgie ebenso wie für ein verklemmtes Türschloss. Sie müssen sich um alles kümmern: Mitarbeiter, die durch Krankheit ausfallen, ersetzen, Missstimmung im Team ausgleichen, mit den Bau- und Denkmalschutzbehören verhandeln, die vielen Ehrenamtlichen pflegen und zusammenhalten. Das Amt ist sehr auf den Rektor zugeschnitten, auch wenn es seit kurzem einen professionellen Verwaltungsleiter gibt. Mit einer halben Stelle. Überhaupt haben wir in Sankt Michael für das riesige Angebot, das wir bieten, erstaunlich wenig Personal, gerade mal 1,6 Kirchenmusiker und einen Assistenten. Insofern ist es eine der wesentlichen Aufgaben als Rektor, dass man das alles jonglieren kann und auch die ein oder andere schlaflose Nacht ertragen. Aber das organisatorische Talent ist das eine: Sie müssen vor allem die Menschen erreichen und  inspirieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso wie die Menschen im Gottesdienst.

Wie ist Ihnen das gelungen? Sie haben in den letzten Wochen sehr viele Dankesschreiben erhalten.

Ich glaube, die Menschen schätzen zwei Dinge: theologische Kompetenz und Offenheit. Ich habe immer versucht, existenziell zu predigen, also über wesentliche, entscheidende Themen und dabei die Schrift aufzubrechen für die heutige Zeit. Die Menschen sollen spüren: da geht es um ihr Leben, da gibt es womöglich ganz konkrete, manchmal wegweisende Impulse für sie. Das andere ist, authentisch zu sein und den Menschen freundlich und zugewandt zu begegnen, sie nicht von oben herab belehren, sondern den Dialog zu suchen.

Man hat Sie im Gottesdienst oft lächeln, gar strahlen sehen.

Ja, das versuche ich auszustrahlen. Ich will mit den Menschen einen echten Dialog suchen, und mindestens bis zur Hälfte des Raums gelingt es auch, ein Schmunzeln zu erkennen, oder einen kritischen Blick.

Die Predigt ist ja auch eine Institution in Sankt Michael.

Sie steht auch in der Tradition des Jesuitenordens: der Heilige Ignatius hat durch eine Lebenskrise und eine tiefe geistige Erfahrung die nur traditionelle, eingeübte Frömmigkeit verlassen und eine sehr persönliche Spiritualität entwickelt. Seither ist es eine der wichtigsten Aufgaben unseres Ordens, Menschen anzuregen zu solchen Erfahrungen, indem man die spirituellen Regungen in der Seele wahrnimmt und unterscheidet. Dazu dienen die Exerzitien, aber auch die Predigt ist ein wichtiges Instrument. Plus der Raum, plus die Liturgie mit der Musik in einer Qualität, die man sonst nur im Konzert bekommt: das ist Sankt Michael.

Gab es eine Regel für Sie, wann Sie auf die Kanzel gestiegen sind, so, wie der legendäre Pater Keller?

Immer dann, wenn die Kirche sehr voll war. An Weihnachten oder an Pfingsten. Der Grund ist einfach: die Predigt von der Kanzel ist nicht von oben herab, sondern mittendrin. In der vollbesetzen Kirche ist die Kanzel der kommunikativste Ort.

Ein bisschen Theater ist das aber auch, oder?

Ja, und das ist alles andere als schlecht, wenn die Inhalte stimmen. Theater spielen gehört ja auch zum Jesuitenorden, und auch ich habe als Schüler sehr gern Theater gespielt. Man kann Sankt Michael auch als einen großartigen Theaterraum sehen.

Dann kommt es auf den Regisseur an, um den Raum und die Tradition von Sankt Michael nach heute zu transportieren?

Mir war es immer wichtig, den Raum anzunehmen, zu pflegen und wertzuschätzen, ihn aber auch kreativ weiterzuentwickeln. Wir Jesuiten sind sicher nicht modernistisch, wir schätzen die Tradition. Aber wir versuchen immer, nach vorne zu blicken, ganz im Geist des zweiten Vatikanischen Konzils. Deshalb wollte ich, dass Sankt Michael nicht nur die Kirche mit den großen Messen ist, sondern auch ein spirituelles Zentrum mit sehr vielfältigen Formen für sehr unterschiedliche Gruppen. Das hat angefangen mit Familiengottesdiensten, dann kamen Angebote für junge Erwachsene. Wir haben Gruppen für spirituelles Yoga und Zen und für das Jesusgebet. Ich habe mich immer darum bemüht, dass Sankt Michael für viele Menschen ein Ort der Vergemeinschaftung wird, ohne dass wir eine feste Gemeinde haben, und ich habe mich immer sehr gefreut, wenn ich gehört habe: diese oder jene Gruppe trifft sich nach dem Gottesdienst noch in einem Wirtshaus.

Was bedeutet im Fall von Sankt Michael eigentlich die Funktion City-Kirche?

Auch hier geht der erste Impuls vom Raum aus: die Kirche ist eingefasst in die Bebauung der Neuhauser Straße, kein Solitär. Das bedeutet ganz physisch: wir sind eingebunden in die umgebende Stadt, konkret in die belebteste Einkaufsmeile Deutschlands. Wir sind genau für die Menschen da, die hier vorbeikommen. Früher war Sankt Michael die Kirche des gebildeten Bürgertums, da kamen manche mit der Partitur zur Messe. Heute sehen wir auch viel soziale Not. Gerade die geschäftige Neuhauser Straße bietet die Herausforderung, wie die Chance, in unserer Kirche einen Ort der Unterbrechung, der Ruhe, der Andacht zu finden. Diesen Ort in die Fußgängerzone hinein zu öffnen und die Menschen hierher einzuladen, war mir ein großes Anliegen.

Da gibt es mit den neuen Nachbarn in der neuen „Alten Akademie“ ja, sagen wir, Potential.

Natürlich hätte man hier etwas Nicht-Kommerzielles machen sollen, etwa ein Kulturelles, Spirituelles oder gar interreligiöses Zentrum, mitten in der Stadt. Das wäre etwas Großes gewesen und ganz im Sinn des Erbauers, der Sankt Michael hier auch ganz bewusst reinsetzte ins Markttreiben der spätmittelalterlichen Altstadt. Aber der Freistaat wollte die Immobilie an die Meistbietenden verkaufen, und jetzt zieht auch hier der Kommerz ein. Das ist schon ein gewaltiger Bruch, auch mit der Geschichte des früheren Jesuitenkollegs. Aber auch daraus werden sich Chancen und interessante Möglichkeiten für unsere Arbeit ergeben.

Beichte hören etwa?

Warum nicht? Die Beichte hat in Sankt Michael eine lange und wichtige Tradition. Jeden Tag bieten die Patres fünf Stunden Beichte an, und die werden auch genutzt: es sind interessanterweise nicht überwiegend alte Mütterchen, die kommen, sondern die meisten sind 25 bis 45 Jahre alt: junge Leute, die sich Gedanken über ihr Leben machen. Manche kommen aus bestimmten Anlässen, andere regelmäßig. Sie nutzen die Beichte fast wie eine geistliche Begleitung. Wenn man es sich mal frei von Vorurteilen ansieht, ist die Beichte ein sehr attraktives Format: in einem sehr kurzen Setting können Sie anonym und ohne Terminvereinbarung über existenzielle Fragen Ihres Lebens reflektieren, hinter die Dinge blicken, Impulse erhalten. Das kann sehr guttun. So verstanden hat Beichte etwas von Coaching, deshalb hat sie nach meiner festen Überzeugung Zukunft, aber wohlgemerkt als Sakrament der Versöhnung, das Zuversicht geben soll.

Mit welchem Gefühl blicken Sie zurück?

Mit sehr großer Dankbarkeit. Nur Pater Wagner war länger Kirchenrektor als ich, insofern danke ich Gott für seine Gnade, dass er mir die Kraft gab für diese Aufgabe.

Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger?

Den braucht er sicher nicht, er ist ja schon einige Zeit in Sankt Michael und kennt den Ort und die Menschen hier gut. Er wird sicher Bewährtes weiterführen und Neues finden – und weiterbauen an Sankt Michael. ich wünsche ihm von ganzem Herzen alles Gute und freue mich, dass der Orden in ihm einen sehr guten Nachfolger gefunden hat.

Und Ihr Blick voraus?

Nun, ich werde mich um das Fundraising für die Hochschule für Philosophie kümmern und in Nürnberg und Erlangen seelsorgerisch tätig sein. Darauf freue mich: für die Menschen da sein, ohne die große Last der Verantwortung für eine Institution wie Sankt Michael tragen zu müssen. Und dann kann ich auch wieder etwas lesen und öfters wandern gehen, was meinem Leib und meiner Seele guttun wird.

Interview: Gerd Henghuber

Das Interview wurde veröffentlicht auf jesuiten.org.

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