News - Kein Tach ohne Bach

Talk bei Münchner Orgelherbst

Kardinal Marx über Bach und Kirchenmusik

Bei dem Talkformat "Kein Tach ohne Bach" in der Münchner Jesuitenkirche St. Michael spricht der Kardinal über Musik, die das Bewusstsein erweitert, große Komponisten und seine ganz persönliche Beziehung zur Musik.


München – Zum ersten Mal war in diesem Jahr auch ein Talkformat Teil des Münchner Orgelherbstes von St. Michael. Im Michaelssaal sprach Kardinal Reinhard Marx mit Frank Höndgen, Chordirektor und künstlerischer Leiter der Kirchenmusik von St. Michael, darüber, welche Bedeutung Musik für ihn persönlich hat.

Die musikalische Gestaltung übernahmen die Geschwister Anna, Matthias, Katharina und Andreas Pihusch, die an Klavier, Violine und Viola Werke von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) zum Klingen brachten. „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ – dieser Choral aus dem Jahre 1599 im feierlichen E-Dur läutete den Abend ein und war für den Kardinal ein „Erweckungserlebnis“.

Prägende Begegnung mit Musik

Er kam erst in der Mittel- und Oberstufe mit der Musik Bachs in Kontakt und schilderte, wie er zum ersten Mal „Herr, deine Güte reicht so weit“ hörte, vorgetragen vom Männergesangverein seines Heimatortes. Sichtlich bewegt bekannte er: „Wenn ich das höre, wirft es mich heute noch um!“ Für ihn war es etwas Besonderes, Musik zu hören, die über die Hits aus dem Radio hinausging. Sein Musiklehrer Willi Kemper, der schon seine Mutter unterrichtet hatte, soll zu ihr gesagt haben: „Dein Sohn wird mal Bischof, damit das klar ist!“, erzählte er lachend.

Der Kardinal ist überzeugt: „Musik ist eine Bewusstseinserweiterung. Da brauchst du keine Drogen.“ Vor allem Bachs Kompositionen erweiterten die Wirklichkeit, führte Marx aus. Vielleicht deshalb hört der Erzbischof auf Autofahrten zu Gottesdiensten gern die Kantaten des großen Komponisten. Es fasziniert ihn, dass Bach mindestens drei Zyklen, also drei bis vier Meditationen für jeden Sonntag, komponiert hat.

Begeisterung für Bach

Erst in den vergangenen Jahren sind Bachs Kantaten wieder ins Bewusstsein der Hörer gerückt. Die „barocke Schwülstigkeit“ der Texte habe früher viele abgeschreckt, meinte der Kardinal. Ihre Tradition liege in der Mystik des 15. Jahrhunderts und drücke eine unmittelbare Christusfrömmigkeit aus. Die erkennt Marx auch beim Komponisten selbst, schließlich habe Bach die Worte Jesu in der Matthäuspassion stets mit roter Tinte notiert. „Bach wollte mit seiner Musik in die Tiefe Jesu hineinblicken“, ist der Kardinal sich sicher.

Die Sarabande in D-Moll, vorgetragen von Andreas Pihusch an der Violine, wurde als musikalischer Nachruf auf Bachs erste Frau Anna Barbara gedeutet. Damit wurde der nächste Gesprächsteil eingeleitet.

"Gute Musik öffnet"

Es sei egal, befand Marx, ob es sich bei diesem Stück um geistliche oder säkulare Musik handele. Ebenso unsinnig sei die Unterscheidung zwischen ernster und Unterhaltungsmusik. „Gute Musik öffnet“, sagte Marx. Man könne sein Leid hineinlegen, beten oder sinnieren.

Die erste Arie, mit der er sich intensiv befasst habe, war „Bereite dich, Zion“. Der Kardinal versteht sie als Einladung an die Kirche. Das Stück fordere sie dazu auf, wach zu werden,weil Christus komme, betonte der Kardinal. Damit verbunden sei für ihn die Frage: „Können wir ihn wirklich willkommen heißen? Sind wir wirklich bereit dazu?“ Erst als Diakon habe er zum ersten Mal das berühmte Weihnachtsoratorium gehört, auch das ein unvergessliches Erlebnis.

Musik kennt keine Konfession

Doch nicht nur Bach berührt Marx, schließlich kenne Musik keine Konfession. Der französische Komponist Mark Andre, dem der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 2017 den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken verlieh, habe zu ihm gesagt: „Das Ziel meiner Musik ist die Stille.“

Der Kardinal gab jedoch zu bedenken, dass Musik auch pervertiert werden könne. So hätten die Nationalsozialisten im Konzentrationslager Mozart gespielt und mit Marschmusik Aggression provoziert. Doch im Idealfall solle Musik etwas Therapeutisches haben und eine höhere Wirklichkeit erfahrbar machen.

Die Menschlichkeit hinter der Musik

Im nächsten Teil, eröffnet am Klavier von der Fantasia C-Moll BWV 906, ging es um den Menschen Johann Sebastian Bach. Marx nimmt ihn als jemanden wahr, „der in seiner Zeit versucht hat, das Evangelium zu leben“. Das zeige sich auch an der Liebenswürdigkeit, mit der er seiner Frau und seiner Familie begegnet sei. Seine Frömmigkeit sei jedoch keine asketische oder weltfremde gewesen, sondern nahe am Empfinden der Menschen.

Der Mensch Reinhard Marx gab an, Musik aller Schattierungen zu hören. Wenn er am Samstagnachmittag arbeiten müsse, höre er schon mal gerne Classic Rock oder Reggae von UB40. Am Samstagvormittag darf es auch alpenländische Blasmusik sein, am Sonntag hingegen Klassik. Dazu gehören auch Porträtsendungen über berühmte Dirigenten. „Musik hilft mir“, sagte der Kardinal. Ihn berühre, dass keine Bach-Kantate in Depression ende, aber das Leid stets angeschaut werde.

Die Bedeutung guter Kirchenmusik

Klar formulierte der Erzbischof seinen Anspruch an die Kirchenmusik: Sie müsse der Liturgie dienen, schließlich sei diese kein Konzert, sondern das Kostbarste des christlichen Glaubens. Zelebrant und Organist müssten sich absprechen. Im Idealfall passe der Organist die Lieder den Worten der Predigt an.

Jeder Pfarrverband brauche eine gute Kirchenmusik, in der man sich gegenseitig stärke. Auch wenn es heuer erstmals keine neuen Kirchenmusikstudenten in der bayerischen Landeshauptstadt gebe, die Kinderchöre seien nicht geschrumpft. Hier werde der Grundstein für so manche musikalische Karriere gelegt.

Eine letzte musikalische Begleitung

Auf die Abschlussfrage, welche Werke sich der Kardinal bei seiner Beerdigung wünsche, gab dieser sich unschlüssig. Früher hätte er sich für Mozart entschieden, aber das sei ihm inzwischen zu wuchtig. Jetzt müsse es schon ein Werk von Bach sein.

Die dreistimmigen Inventionen Nr. 11 in G-Moll und Nr. 10 in G-Dur beendeten diesen unterhaltsamen Abend, der den musik- und bachbegeisterten Menschen Reinhard Marx in den Mittelpunkt stellte.

Maximilian Lemli


Der Text ist freundlicherweise übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 23. Oktober 2022 / Nr. 43.

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