News - Weihnachten 2023

Weihnachten – ein ver-rücktes Geheimnis

Gedanken von Andreas R. Batlogg SJ über das Fest des „heruntergekommenen Gottes“ – Gott, der gekommen ist, um zu bleiben

„Alle Jahre wieder …“ – feiern wir Weihnachten. Was feiern wir da? Und wie? Karl Rahner SJ (1904–1984) hat in seinen Meditationen oft den „Weihnachtszauber“ aufs Korn genommen: Tannenbaum, Weihnachtsmusik, Geschenke, fromme Bräuche … „Und wenn das Religiöse zur Steigerung der Stimmung beigezogen wird“, so der Jesuit, „dann ist es besonders schön und rührend.“ Deshalb seine kritischen Rückfragen: „Ist das alles an Weihnachten? Ist das die Hauptsache? Oder ist das Schöne und Gemüthafte, das Stille und Trauliche nur das schöne, milde Echo eines Ereignisses, das eigentlich an diesem Tag gefeiert wird, und irgendwo ganz anders, viel höher im Himmel, viel tiefer in den Abgründen und viel innerlicher in der Seele geschieht?“

Das Fest des „heruntergekommenen Gottes“

In solchen Fragen finden sich heute viele wieder. Der vorweihnachtliche Trubel, die Kommerzialisierung nehmen zu – die Sehnsucht, dass es auch anders sein könnte aber auch! „Reduktion! Warum wir mehr Weniger brauchen“ war das Motto der Salzburger Hochschulwochen im vergangenen Sommer. Das wäre auch eine Devise für das Fest am 24./25. Dezember. Denn Weihnachten ist mit vielen Erinnerungen und Erwartungen verbunden – und überladen. Deswegen liegt die Versuchung nahe, das Fest „in Szene zu setzen“. Das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, an Heiligabend 1818 von Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr in Oberndorf bei Salz-burg uraufgeführt, ist weltweit in mehr als 320 Sprachen und Dialekten verbreitet. Ein Frank Sinatra konnte damit später ebenso bezaubern wie heute ein Andrea Bocelli oder andere berühmte Interpreten. Wer Kinder hat, kommt manchen Zwängen in der Weihnachtszeit kaum aus. Christkindlmärkte und Glühweinpartys: All das hat wenig mit dem Ursprung des Festes zu tun. Vom Weihnachtsrummel wieder zum „Weihnachtszauber“ im besten Sinn des Wortes zu kommen – wie gelingt das? „Die Weihnacht“, so Rahner, „ist mehr als ein bisschen tröstliche Stimmung. Auf das Kind, auf das eine Kind kommt es an diesem Tag, in dieser heiligen Nacht an. Auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, auf seine Geburt. Alles andere an diesem Fest lebt davon, oder es stirbt und wird zur Illusion. Weihnacht heißt: Er ist gekommen.“ Der deutsche Priester und Poet Wilhelm Bruners, der jahrelang die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Katholischen Bibelwerks im Österreichischen Hospiz in Jerusalem geleitet hat, nennt Weihnachten das Fest des „heruntergekommenen Gottes“.

Verrückt: Gott beginnt sein Erdenleben im Stall

Es ist schon verrückt: In einem Stall kommt Gott zur Welt. Was für ein Lebensbeginn! Hätte er sich nicht andere Umstände aussuchen können für seinen Start ins Erden-leben? Eine angenehmere Umgebung? Er, der doch der Allmächtige ist? Er fällt nicht vom Himmel, in einem kosmischen Spektakel („deus ex machina“). Er wird als Kind geboren, wie wir. Ein Wunschkind? Der ewige Gott, der Schöpfer des Kosmos, als Baby: nackt, hungrig, verwundbar, völlig angewiesen auf andere. „Wir stehen vor der Krippe“, so Rahner an anderer Stelle: „Da, in diesem Stall fängt das irdische Leben an, in dem Gott sich aussagt, er selber […]. Der Ort ist eng und bleibt es. […] In diesem Kind aber bringt Gott es fertig, sei-ne Unendlichkeit in ein so kleines Dasein hineinzuzwängen.“ Es ist verrückt: Maria und Josef sind nicht verheiratet. Josef ist nicht der Vater. Aber er ist trotzdem bei seiner Verlobten geblieben. Weil er ihr geglaubt hat. Es ist verrückt: „Wie blöd“ musste er sein, um darauf reinzufallen? So sagen manche bis heute. Oder denken es sich. Es ist verrückt: Josef hat das Unglaubliche geglaubt, et-was, für das es keine plausiblen Vorstellungen gab – dass das Kind, das Maria er-wartet, von Gott ist. Welche Erklärung gab und gibt es dafür, die überzeugen könnte? Leider ist es eine stehende Redewendung geworden, über die ich mich immer ärgere, wenn ich sie höre: „Wie die Jung-frau zum Kind kommen“. Ein Ausdruck von Hilflosigkeit – der ironische Umgang mit Wirklichkeit. Flucht vor dem Mysterium in die Plausibilität? Aber Hand aufs Herz: Welcher Vater würde das seiner Tochter glauben: „Ich bin schwanger, aber ich hatte keinen Sex?“ Welcher Ehemann würde es seiner Frau glauben (wollen)? Es ist verrückt: So in die Welt gekommen zu sein und nicht anders – das mutet Gott uns zu. Verrückt! Wer kann das verstehen? Wäre es nicht auch anders gegangen? „Jungfrauengeburt“ – ein Thema für die Märchenwelt? „Wie die Jungfrau zum Kind kam“ ist sogar der Titel einer wissenschaftlichen Studie von Gregor Emmenegger (Untertitel: „Zum Einfluss antiker medizinischer und naturphilosophischer Theorien auf die Entwicklung des christologischen Dogmas“, Münster 22017), der an der Universität Fribourg/Schweiz Patristik, Dogmen- und Alte Kirchengeschichte lehrt. Auch der Ausdruck „unbefleckte Empfängnis“, der sich auf Marias Anfang durch ihre Eltern Anna und Joachim bezieht, ist ein Opfer von Witzeleien geworden, erst recht, seitdem die Kirche daraus (1854) ein Dogma gemacht hat.

Ein neuer Anfang: Weil Miriam zustimmte …

Es ist verrückt: Weihnachten wurde nur möglich, weil eine junge Jüdin, vielleicht war sie noch ein Mädchen, zustimmte – Miriam. Weil sich Maria einließ auf eine ungeheuerliche Zumutung. So wurde ein neuer Anfang möglich. Die Uhren blieben nicht stehen wegen dieser Geburt. Aber Hirten, einfache Menschen, keine Akademiker und schon gar keine Theo-logen, spürten spontan: Da ist mehr als ein schnuckeliges Baby! Mehr als ein Paar, das sich registrieren lassen wollte, weil neue Steuerlisten in Arbeit waren, und das unterwegs von Wehen überrascht wurde. Weihnachten ist der Geburtstag Jesu. Christen feiern ihn Jahr für Jahr. Wir erinnern uns daran, dass Gott Mensch wurde. Es ist verrückt: Wir tun manchmal so, als sei das eine Selbstverständlichkeit. Die griechische Antike ließ Götter in Menschengestalt auf die Welt kommen. Sie kamen, um wieder zu gehen – ein zeitlich befristetes Welt-Intermezzo sozusagen. Unser Gott ist gekommen, um zu bleiben. Bis heute, über 2000 Jahre später, erinnert die westliche Zeitrechnung daran, wenn sie die Jahre in „vor“ und „nach Christi Geburt“ einteilt. Es ist verrückt: Die Nachricht von dieser Geburt versetzte König Herodes in Auf-regung – „und mit ihm ganz Jerusalem“ (Mt 2,3). Sterndeuter waren angereist, von weither: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“ (Mt 2,2) Sie sollen Herodes Bericht erstatten, sobald sie das Neugeborene gefunden haben. Ein Thronanwärter, der, wie von den Propheten verheißen, in Bethlehem geboren wird, der Stadt Davids: Das kann ihm gefährlich werden! Als die Fremden aus dem Morgenland nicht zu ihm zurückkehren, wegen eines Traums, in dem sie davor gewarnt wurden, gerät Herodes in Panik. Er lässt alle Buben unter zwei Jahren umbringen. Auch wenn der Kindermord von Bethlehem vermutlich fiktiv war und historisch nicht gesichert ist: Auch Maria und Josef ziehen wegen eines Traums ins Exil und verbringen einige Jahre in Ägypten, bevor sie nach Nazareth zurückkehren, nachdem Herodes gestorben war (Mt 2, 13–15).

Verrückt: Wenn Menschen sich auf Gott einlassen

Es ist verrückt, immer wieder: Wenn und wo Menschen sich auf Gott einlassen, auf seine Zumutungen ebenso wie auf seine Verheißungen, geschieht Ungeheuerliches. Geschieht Unerklärliches. Geschehen manchmal sogar Wunder. „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns“ (Mt 1,23): Der Evangelist identifiziert den bei Jesaja (Jes 7,4) verheißenen Sohn mit Jesus. Der Name Jesus (Jehoschua, Jeschua) heißt: „Gott hilft/rettet“. Nehmen wir es wörtlich: Gott ist da für uns, für mich – und in diesem Kind in der Krippe hat er gleichsam ein Gesicht bekommen. Noch einmal mit Rahner: „In und an Jesus wissen wir, was wir an Gott haben. Anders nicht.“ Wie wäre es mit diesem Gedankenexperiment an Weihnachten 2023: Einmal überlegen, still an der Krippe sitzend, zuhause oder in St. Michael, wo mein Leben verrückt wurde, weil ich mich als Christ zu einem Gott bekenne, der in diesem Kind zur Welt gekommen ist?

Weitere Texte von Karl Rahner: Von der stillen Weihnacht unseres Herzens, hgg. von Andreas R. Batlogg SJ, Peter Suchla, Matthias-Grünewald-Verlag 2022

Mit Erlaubnis der Redaktion wieder abgedruckt aus: Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan [Wien] 78 (2023) Nr. 3 | Weihnachten 2023, S. 4-5.

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