Liebe beginnt mit der Sehnsucht
Von Thomas Hürten, Pastoralreferent und Fachreferent in der Glaubensorientierung in St. Michael
In dem von „Andere Zeiten“ herausgegebenen Adventskalender fand ich eine Geschichte zweier Freundinnen von Melanie Kirschstein. Beide sind ohne Partner. Die eine will ihre Hoffnung nicht länger an einen hängen, der dann doch nicht kommt. Die jüngere Freundin schweigt dazu. Sie will noch nicht aufgeben und die Hoffnung nicht in Arbeit oder Alkohol begraben. Einen Frühling später findet sie – offen für die Überraschung – das Ende ihrer Einsamkeit. Darauf die ältere Freundin: „Dein Glück möchte ich haben, aber ich komme ja immer zu spät.“ – Wie sehr kann es sich lohnen, der Sehnsucht auch das Öl der Geduld zu geben. Sie ist mitteilbar, aber sie ist nicht teilbar. Ich kann da keine halben Sachen machen.
12. November 2023 - 32. Sonntag im Jahreskreis A
1. Lesung: Weish 6, 12–16 („Wer die Weisheit sucht, findet sie.“)
Antwortpsalm: Ps 63 (62), 2.3–4.5–6.7–8 (Kv: vgl. 2) („Meine Seele dürstet nach dir, mein Gott.“)
2. Lesung: 1 Thess 4, 13–18 („Gott wird die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen.“)
Evangelium: Mt 25,1–13 („Siehe, der Bräutigam! Geht ihm entgegen!“)
„Spannung lässt sich nicht kaufen, auch nicht ausleihen. Meine Sehnsucht, den Schlag meines Herzens kann ich nicht borgen. Die Törichten wollen sich Hingabe mit Geld besorgen. Aber das strahlende, duftende Feuer der Liebe brennt nur mit dem eigenen Öl, das sich in meinem Leben, meinem Warten, meiner Sehnsucht angesammelt hat.“ (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz).
Am Kloster von Marienberg im oberen Vinschgau stehen zwei Worte an der Pforte: „In Erwartung“. Wir leben in Erwartung. Nicht nur Mönche und Nonnen. Wir Christen sind noch nicht mit unserer Hoffnung am Ende, wenn es uns gut geht. Die Kirche will etwas für die ganze Welt – und nicht etwas gegen sie oder ohne sie. Es gibt eine Hoffnung und Liebe im Hinblick auf Christus, der kommen wird, und das, was er mit sich bringt: Einladung ins Fest der Liebe. Da wollen wir mit unserem Leben hin, mit unserer Schöpfung. Das ist nicht nur etwas Jenseitiges.
Ich finde die Frage in unserer Kirche zu selten: Was hoffen wir denn für alle Menschen? Wo wollen wir hin? Was ist das Ziel unserer Mühen? Himmel! Für immer beim Herrn sein, also: für immer in der Liebe ankommen! Nächtlicher orientalischer Hochzeitsritus: Du wartest auf den Bräutigam, und dann wirst du abgeholt in das Fest der Liebe. Wie viele Menschen in dieser Welt warten darauf, in die Liebe abgeholt zu werden!Wenn ich als Kind aus der Kinderbibel vorgelesen bekam, wenn ich es so mit den eigenen Kindern machte, dann war etwas davon dabei: am Beispiel Jesu abgeholt werden in ein Fest der Liebe. Schule war Schule, Spiel war Spiel. Aber das Leben wurde Fest, wenn wir einander gut waren.
Wir könnten jeden Gottesdienst auf diese Weise sehen: Wir lernen von ihm, zu lieben, und wir werden dazu geweiht, die zu lieben, die er lieben wollte. Hol uns ab!
Es scheint klug, nicht auf allen Hochzeiten zu tanzen. Es ist klug, jener Liebe den Vorrang zu geben, die einmal alles sein wird, weil wir für sie geschaffen wurden. Wir sind zur Liebe da. Sie beginnt mit der Sehnsucht.
Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 12. November 2023 / Nr. 46.
Thomas Hürten
Pastoralreferent, Fachreferent
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