News - Glaube im Alltag: Gottesfurcht – Furcht vor Gott?

Glaube im Alltag

Gottesfurcht – Furcht vor Gott?

Der Glaube führt in ein Spannungsverhältnis aus intimer Nähe und unverfügbarem Abstand.

Jesu Herzensanliegen war: Menschen die Angst vor Gott zu nehmen und sie an seinem eigenen angstfreien Gottesverhältnis teilhaben zu lassen. Dennoch sprechen wir von „Gottesfurcht“. Sie soll sogar „der Anfang der Weisheit“ sein (vgl. Sir 1,14; Ps 111,10). Wie geht das zusammen? Die Person Jesu gibt uns die Antwort.

Jesus lebte ganz aus der jüdischen Glaubenstradition. Deren pulsierende Mitte war die Offenbarung des Namens Gottes. Von Gott durfte Israel kein geschnitztes Bild machen. Denn darin lauerte die Gefahr, sich ihn verfügbar zu machen. Der weltjenseitige Gott teilte von sich aus sein Geheimnis mit. Er sagte seinem Volk zu: Ich werde mich als derjenige erweisen, der für euch da ist. Diese feste Zusage war sein Eigenname (vgl. Ex 3,14f). Der durfte jedoch wegen seiner Heiligkeit nicht ausgesprochen werden. Israel sollte sich dem treuen Beistand seines Gottes anvertrauen, ohne ihn zu vereinnahmen. Hoffend sollte es sich auf Gott verlassen, dessen geheimnisvolle Präsenz immer wieder aufblitzte und der sich gleichzeitig entzog. An Gott zu glauben, bedeutete deshalb für Jesus: sich in allem dem nahen und zugleich heiligen, nicht fassbaren Gott zu überlassen.

Jesus ist für uns Christen „der Anführer und Vollender unseres Glaubens“ (Hebr 12,2). Innerste Mitte des Glaubens Jesu ist sein Beten. Das Vaterunser, das er die Seinen lehrte, offenbart uns den inneren Atem seines gesamten Lebens (vgl. Lk 11,1-4; Mt 6,9-13). Mit der kindlich-intimen Anrede „Abba“ ermutigt er zu einem völlig angstfreien Zugehen auf Gott. Matthäus hat vermutlich die direkte Anrede „Abba“ durch „im Himmel“ erweitert. Er trifft damit das Anliegen Jesu, der im gleichen Satz den heiligen Namen Gottes preisend anruft („geheiligt werde …“). Bei aller familiären Vertrautheit bleibt der erhabene Name Gottes gewahrt. In dieser Spannung, die von Mose bis Maria alle Mittlergestalten Israels erlebten, liegt die Antwort auf unsere Themafrage: Innige Gottesnähe und grenzenlose Ehrfurcht vor Gott gehören zusammen. Deshalb kennt die innere Architektur des Vaterunser nur eine Frage bzw. Bitte: Wie kann die Wahrheit dieser Gottesbeziehung im Leben des Einzelnen, in der Gemeinschaft der Glaubenden und in der ganzen Welt Wirklichkeit werden? Die Bitte um das Kommen des „Reiches“ überwölbt das gesamte Gebet Jesu. Dieser allgemeine Wunsch mündet in das eine persönliche Grundanliegen: Dass wir als Kinder Gottes von dem überirdischen Brot des Gottesgeistes leben. Darum gilt es täglich zu bitten („Unser tägliches Brot …“). Die abschließenden Bitten sollten uns bewusst machen, durch die Teilhabe an Gott nicht überheblich zu werden, vergebungsbereit zu bleiben („Und vergib uns …“) und nie zu vergessen, dass wir das grenzenlose Gottvertrauen auch verlieren könnten („und führe uns nicht in Versuchung…“).

Von Angst und Verzweiflung bedroht sind alle Menschen, Jesus inbegriffen (vgl. Hebr 4,15). Er hat sich in seiner menschlichen Angst „mit lautem Schreien und unter Tränen“ Gott anvertraut und „er ist wegen seiner Gottesfurcht erhört worden“ (Hebr 5,7). Er rutschte nicht ab in die Grundversuchung, völlig auf sich selbst zurückgeworfen, in Verzweiflung zu enden. Hinter und in aller menschlichen Angst steckt nämlich die tiefe Angst vor Gott - und damit ohne inneren Halt verloren zu sein. Jesus hat für uns diese Welt voll bedrängender Angst überwunden (vgl. Joh 16,33).

Das ist die existentielle Botschaft von Ostern: sich inmitten aller Ängste von Gott getragen und gehalten zu wissen. Dies ist eine Wahrheit der Tiefe und nicht der Oberflächengefühle. Wer nur auf den wechselnden Wellenbewegungen des Alltags sich bewegt oder sich gar davon treiben lässt, gerät leicht in den Strudel der Angst. Wer sich dagegen den tieferen Schichten seiner Seele aussetzt, kann den Frieden des Auferstandenen erfahren und teilhaben an seiner angstfreien Gottesbeziehung.

Glaube ist immer ein wechselseitiges Verhältnis: Der unfassbare, ewige Gott traut uns Menschen und will seine angstgeplagten Geschöpfe zur Antwort des Vertrauens verlocken. Unsere Glaubensantwort kann nie eine bloß innere Reaktion bleiben. Wahrer Glaube vollendet sich in der Liebe. „Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“ (1 Joh 4,18). Der Auferstandene ermutigt uns: inmitten einer Welt voller Verzagtheit und Angst die Liebe zu leben.

Jesus ist für Christen der Zugang zu Gott. Er stellt uns das vertrauensvolle Kindsein als Inbegriff der Gottesbeziehung vor Augen. Das bedeutet jedoch nicht eine Verniedlichung Gottes zum nur „lieben Papa“. Die Heiligkeit, der unverfügbare Abstand, ja, die Verborgenheit Gottes bleiben gewahrt. Jesus will uns zu einem Glauben führen, der sich der Lebensangst, den Dunkelheiten, Rätseln und Abgründen dieser Welt stellt. In einer solchen Welt den Gott der Liebe zu suchen und zu finden, führt uns in jenes „Geheimnis des Glaubens“, das wir in der Mitte jeder Eucharistie bekennen: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!“


Der Text ist freundlicherweise übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 10. April 2022 / Nr. 15.