Gott am Kreuz
Es gibt kaum jemanden, der nicht ein Foto schießt, wenn er in unsere Kirche kommt. Mit dem Kreuz im Hintergrund machen Menschen Selfies, auf denen sie strahlend in die Kamera blicken. Manchmal werde ich verwundert gefragt, warum „da oben“ ein fast nackter Mann mit ausgestreckten Armen und Füßen hängt.
Eine Antwort in wenigen Worten fällt mir nicht immer leicht. Noch überzeugender wäre wohl eine Antwort, die ohne viele Worte auskommt. Wo Menschen uns als Glaubende erleben, die dem trauen, was Gott uns im Gekreuzigten an Zukunft und Hoffnung schenkt! Wo Menschen uns als Kirche erleben, die an mehr glaubt als schon ist. Wo wir anderen Menschen etwas zutrauen, weil dieses Vertrauen in Zuwendung, Geleit und Segen in einer Kraft außerhalb unserer selbst gründet.
Viel zu oft verzehren wir uns in internen Spannungen und Konflikten gegeneinander, während wir gar nicht mitbekommen, wie viele Menschen fragen und auf der Suche sind, von denen wir meistens annehmen, dass sie den Glauben – angeblich – weitgehend verlernt und sich kirchlich meilenweit distanziert haben.
Das Kreuz ist und bleibt für uns das prägende Vorzeichen der Welt. Niemals wird die Herrlichkeit von Ostern das Kreuz zum Verschwinden bringen. Das Leid wird nicht ausgeblendet. Aber es hat nicht das letzte Wort! So sehr es anstößig ist und ein Ärgernis – das Kreuz ist letzter Trost. Jemand hat einmal gesagt: „Kein Wort würde ich diesem Jesus glauben, wenn er nicht am Kreuz geschrien hätte: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Warum hast du mich verlassen? So schreien auch heute noch viele Menschen, nicht nur in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt. Nicht wenige fühlen sich von Gott und den Menschen verlassen; ausgeliefert dem, was sie erleiden müssen. Für manche ist die Welt so dunkel, dass da kein Gott mehr ist. Keine Hoffnung, nur große Einsamkeit. Auf seinem Kreuzweg ist es Jesus genauso ergangen.
Die Fastenzeit, in der wir uns auf Ostern vorbereiten, ist die Einladung, sich auf die Suche nach einer persönlichen Antwort zu machen. Sie ist die Einladung, sich mit Jesus auf einen Weg zu begeben – um im Kreuz die Hoffnung auf Erlösung und Heil zu finden.
P. Martin Stark SJ
P. Martin Stark SJ
Kirchenrektor von St. Michael
Superior der Jesuitenkommunität
martin.stark(at)jesuiten.org
Foto: Robert Kiderle