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"Katholisch": Modell für eine einladende Kirche

Ein Beitrag von P. Martin Stark SJ für die Münchner Kirchenzeitung

Mit dem Glaubensbekenntnis bekennen wir jeden Sonntag in der Eucharistiefeier unseren Glauben. Sowohl im „Kleinen“ Glaubensbekenntnis, im „Apostolikum“, wie auch im „Großen“, dem „Nizäno-Konstantinopolitanischen“ Glaubensbekenntnis, bekennen wir die Kirche als „katholisch“. Weil aber seit der Reformation im 16. Jahrhundert das Wort „katholisch“ zum konfessionellen Etikett geworden ist - im Gegensatz zu „evangelisch“ oder „orthodox“ -, ersetzen evangelische Christen zumindest im deutschen Sprachraum den Begriff durch Formulierungen wie „christlich“ oder „allgemein christlich“ und sprechen von der „heiligen, christlichen“ Kirche.

Ausgerechnet das Wort, das ursprünglich die umfassende Zusammengehörigkeit aller Christen auf den Begriff bringen wollte, bezeichnet also gleichzeitig auch die lange, leidvolle Geschichte der Spaltung der Christenheit und weist wie ein Stachel im Fleisch auf die ungelöste Aufgabe der Einheit aller Christen hin.

Denn im ursprünglichen Wortsinn heißt „katholikos“ im Altgriechischen schlicht „das Allgemeine“. Das Adverb „kath‘holon“ übersetzt man mit: „zusammen, eins sein“. Wenn das Große Glaubensbekenntnis also von der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ spricht, meint es die eine Kirche, die alle Zeit und alle Welt umfasst und von Jesus Christus zu allen Menschen gesandt wurde. Wenn wir im Credo also die Kirche als „katholisch“ bekennen, meinen wir gar nicht (nur) die römisch-katholische Kirche, sondern vielmehr die allumfassende Kirche, also die universelle Gemeinschaft aller Christen.

Das Sprechen des Glaubensbekenntnisses ist daher immer zugleich das Bekenntnis zur Einheit der über die ganze Erde ausgebreiteten Kirche sein, die durch die Ökumene wiederhergestellt werden soll. „Wo Christus Jesus ist, ist die katholische Kirche“, so formuliert es der Hl. Ignatius von Antiochien, der unter Kaiser Trajan, also vor 117 n. Chr., den Märtyrertod erlitten haben soll.

Das Zweite Vatikanische Konzil, das vor genau 60 Jahren eröffnet wurde, verzichtete darauf zu sagen, dass „die Kirche Christi die katholische Kirche ist“, sondern formulierte bewusst einen feinen Unterschied: „Die Kirche Christi ist verwirklicht („subsistit“) in der katholischen Kirche“. Die Kirche Jesu Christi ist mit der katholischen Kirche nicht einfach gleichzusetzen, sondern noch einmal viel umfassender.

Dies meint zunächst eine universelle Sendung: Die Kirche „ist zu allen Völkern aller Zeiten gesandt, welcher Kultur sie auch angehören“, heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche. Wer katholisch ist, ist Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft, in der die grundlegenden Glaubensüberzeugungen und „Spielregeln“ überall gleich sind. Wenn wir also von der katholischen Kirche sprechen, sollten wir also immer die Vielfalt vor Augen haben und nicht Uniformität.

„Anders katholisch“, ist der Titel eines 2019 erschienenen Buches des Magdeburger Bischofs Gerhard Feige. Man könne durchaus sagen, so der Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, dass „nicht überall alles genauso katholisch ist: in Italien wie in Schweden, in Polen wie in Deutschland, in Papua-Neuguinea wie in den USA, in Bayern wie in Schleswig-Holstein, im Rheinland wie in Sachsen-Anhalt“. „Anders katholisch“ meine vor diesem Hintergrund, vor Ort eine eigene Geschichte zu haben und mit besonderen Prägungen und Herausforderungen unterwegs zu sein, die sich von der kirchlichen Wirklichkeit in anderen Ländern und Regionen merklich unterschieden.

Aber auch für die Ökumene ergeben sich weitreichende Folgen: In der Kirchenkonstitution stellte das Konzil feierlich fest, dass zwischen allen, die wirklich an Jesus Christus glauben, „eine wahre Verbindung im Heiligen Geiste“ (Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ 15) besteht, der mit seiner heiligenden Kraft in Gaben und Gnaden auch in ihnen wirksam sei. Das Ziel der Ökumene kann also nicht darin bestehen, eine Einheit auf dem Weg eines Kompromisses auf niedrigstem Niveau oder im Konsens auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu beschreiten, sondern die im Glauben an Jesus Christus gegebene Einheit und die Verbindung im Heiligen Geist tiefer zu erfassen und ausdrücklich anzuerkennen.

Nicht nur den einzelnen Christen anderer Konfessionen wird zugestanden, dass sie sich zu Recht Christen nennen und von den Gliedern der katholischen Kirche als „Brüder im Herrn“ anerkannt werden. Der Heilige Geist habe sich auch gewürdigt, die anderen Kirchen und Gemeinschaften als „Mittel des Heils“ zu gebrauchen.

Das Konzil gibt zu, dass gerade die Spaltungen der Christen für die Kirche ein Hindernis sind, die Fülle der Katholizität wirksam werden zu lassen. „Ja, es wird dadurch auch für die Kirche selber schwieriger, die Fülle der Katholizität unter jedem Aspekt in der Wirklichkeit des Lebens auszuprägen.“ (Ökumenedekret „Unitatis redintegratio“ 4,10).

Und ein letztes: Wenn wir durch die jahrelange Kirchenkrise, die der Missbrauchsskandal verschärft hat, etwas gelernt haben, dann dass wir wohl zu stark die Kirche als Institution in den Mittelpunkt gestellt und ihre Rolle überhöht haben. Aber immer mehr, dem Christentum gegenüber wohlwollend eingestellte Menschen verstehen unsere Sprache, die Themen und die Konflikte gar nicht mehr. „Katholisch“ galt bisher als Synonym für eine Kirche, die sich im Sinne einer societas perfecta von der Moderne und ihren Folgen abgrenzen wollte. Die Folgen treiben uns um: angefangen von den manifesten Defiziten in der Verfassung und Leitung der Kirche inklusive mangelhaftem Rechtsschutz und fehlender Gewaltenteilung, die verlorene Glaubwürdigkeit im Bereich der Sexualmoral bis hin zur herrschenden Geschlechterungerechtigkeit.

Der Heilige Geist zeigt uns sein Wirken auch in den „Zeichen der Zeit“ – sowohl in der derzeitigen Krise der Kirche, als auch in den Reformbemühungen und Aufbrüchen auf ihrem Weg in die Zukunft. Auch wenn sich die äußere Gestalt der Kirche in den kommenden Jahren weiter dramatisch verändern wird, bedeutet dies noch lange nicht ihren Untergang. Sie kann sich in Form einer „schöpferischen Minderheit“ in die säkulare Gesellschaft einbringen und in ökumenischem Geist „auch in Zukunft vielfältig und lebendig das Evangelium“ bezeugen. Gerhard Feige: „Die Kirche ist nicht an bestimmte Verhältnisse gebunden; sie kann überall – auch unter schwierigsten Umständen – Wurzeln schlagen, sich entfalten und ihrer Bestimmung gerecht werden.“

Gerade das Modell des „Katholischen“ bietet die Chance, Kirche neu zu entdecken als einladender Raum der Offenheit und Weite, der Freiheit und Transzendenz, wo erlebbar ist, dass es etwas gibt, was größer ist als wir, und der wahrgenommen wird als Ort, wo den Seelen geholfen wird („iuvare animas“), wo Versöhnung und Heilung geschehen kann. Strukturveränderungen sind das eine, Papst Franziskus betont jedoch immer wieder die Notwendigkeit einer „pastoralen Umkehr“ (Nachsynodales Schreiben „Evangelii gaudium“ 27) und der Suche nach „neuen Wegen für die Verkündigung des Evangeliums. Er spricht von einer „Kirche ‚im Aufbruch‘“ und meint damit eine „Gemeinschaft der missionarischen Jünger, die die Initiative ergreifen, die sich einbringen, die begleiten, die Frucht bringen und feiern“. Mit Mut und Kreativität soll die „ursprüngliche Frische der Frohen Botschaft" neu erschlossen werden. Das wäre doch was, wenn „katholisch“ für offene statt für verschlossene Türen stünde!

P. Martin Stark SJ
Kirchenrektor St. Michael

Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 23. Oktober 2022 / Nr. 43.

P. Martin Stark SJ
kirchenrektor.st-michael@jesuiten.org