Bilder vom Wiederaufbau von St. Michael nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.
Gedanken zu den Schrifttexten des Sonntags
Kirchen sind mehr als Gebetsräume
Von Thomas Hürten, Pastoralreferent und Fachreferent in der Glaubensorientierung in St. Michael
Unsere Kirchen sind mitten in unseren Ortschaften oder Landschaften Orte des Gebetes. Ihre Türen zeigen auf, was für uns oben ist: Gott, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat. Natürlich kann man überall beten. Kapellen und Kirchen sammeln aber die Betenden und ihre Gebete. Wie viele Sorgen und wie viel Leid haben sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte in ihnen geäußert! Wie viele Kerzen haben Bitten stumm weiter glimmen lassen, während die Betenden längst ans Tagewerk zurückgekehrt sind.
Kirchen sind ein Ausdruck dafür, wie schutzbedürftig unser Leben ist, wie verletzbar, bedroht und leidvoll. Wir haben weniger in der Hand, als wir glauben. Mit jedem Menschen, den wir lieben, werden wir angreifbarer für die Macht des Schicksals. In dieser Hinsicht sind Kirchen Schutzhütten, Klageorte, Trauerräume. Man kann in Ihnen etwas loswerden, aber anderes holt uns dort erst richtig ein. Manche betreten keine Kirche mehr, weil in diesen Räumen sofort sich Trauer breitmacht, die sie im Alter besser in Schach halten können.
Für das Gratis im Leben danken
Das ist nicht alles, was sich in Kirchen sammelt: die Dankbarkeit für das nicht Selbstverständliche, das Unverdiente, das Gratis im Leben, für Gesundheit und Kinder, für Arbeit und Wohlstand, für Freunde und Begleitung. So finden sich in ihnen Menschen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen zugleich ein: Flehende und Dankende, noch nicht Erhöhte und vom Schicksal Gebeutelte und solche, die sich unter Gottes Schutz glauben, solche, denen alles genommen wurde, und die, die alles geschenkt bekommen.
Die Last des anderen mittragen
Wie findet das zusammen, so dass es sich berührt? Indem wir für einander beten, indem wir füreinander da sind und darum manchen Schlag abfedern, bereit, die Last des anderen mitzutragen.
Aufmerksamkeit erlernen
In dieser Bereitschaft öffnet sich etwas Drittes, warum wir Kirchen haben in unseren Orten: Wir kommen zusammen, um Liebe zu erlernen und uns „ausrüsten zu lassen zu jedem guten Werk“ (2 Tim 3,17). Wenn wir die Kirche nur als Gebetsräume sehen für Bitte oder Dank, fehlt dieses Dritte noch: Sie sind eine Schule der Aufmerksamkeit, ein Ort der Wandlung, sie legen uns Sorgfalt im Umgang miteinander in Hirn Und Herz. Wir kommen in ihnen zusammen bei unserem Lehrer und Meister.
An das Wir vor Gott erinnert werden
Wenn es gut geht, dann formen sie aus vielen Einzelnen ein Wir, das entschlossen ist, zu stützen und zu erhören, wenn Not ist. Darum sind sie so wichtig im Herzen unserer Orte oder im Horizont unserer Spaziergänge. Darum feiern wir ihre Weihe. Sie erinnern uns an das Wir vor Gott und den Schutz, den wir einander um Gottes willen geben wollen. Wir, die Getauften, haben uns selbst diesem Anliegen geweiht.
Artikel mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Münchner Kirchenzeitung vom 16. Oktober 2022 / Nr. 42.
16.10.2022 - 29. Sonntag im Jahreskreis (C)
- 1. Lesung: Ex 17, 8–13 ("Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker")
- Antwortpsalm Ps 121 (120), 1–2.3–4.5–6.7–8
- 2. Lesung: 2 Tim 3, 14 – 4, 2 ("Durch die Schrift belehrt, wird der Mensch Gottes ausgerüstet zu jedem guten Werk.")
- Evangelium: Lk 18, 1–8 ("Sollte Gott seinen Auserwählten, die zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen?")
Thomas Hürten
Pastoralreferent, Fachreferent
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